Nachruf zum Tod von Elmore Leonard (2024)

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"Ich mag die Stadt. Großartige Musik, viel Armut", sagte Elmore Leonard einmal über Detroit. In dieser Stadt, die einmal der Stolz Amerikas war und heute nur noch Mahnmal für den Niedergang eines ganzen Landes ist, lebte der 1925 in New Orleans geborene Leonard beinahe acht Jahrzehnte lang. Hier begann er Anfang der fünfziger Jahre Romane zu schreiben, zunächst Western, später Krimis. Viele davon Bestseller, rund zwei Dutzend wurden verfilmt. Hier führte er drei Ehen, zog fünf Kinder groß. Und hier starb er jetzt im Alter von 87 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. Seinen Roman über die Zustände in amerikanischen Privatgefängnissen konnte er nicht mehr vollenden.

Man nannte Leonard den "Dickens von Detroit". Das klingt zwar gut, mehr aber auch nicht. Hätte er in Buffalo gelebt, man hätte ihn wohl den "Balzac von Buffalo" genannt, wie der englische Autor Martin Amis einmal sagte. Auch wenn viele von Leonards 45 Romanen in der Motor City spielen, so war er doch nie der Chronist dieser Stadt. Ob Detroit, Los Angeles, Harlan County oder Florida - die Orte waren meist nur Hintergrund für Leonards Geschichten über Gauner und Glücksritter, Cops und Killer, Autohändler und Autodiebe.

Wichtiger als das große Ganze waren für Leonard stets die Milieus - und die Menschen. Unvergessliche Figuren wie Chili Palmer, der Kredithai aus "Schnappt Shorty", der in Hollywood Karriere macht und in der Verfilmung von John Travolta gespielt wurde; wie Jack Foley, der Einbrecher aus "Out Of Sight", der schon im Buch so angelegt war, dass tatsächlich nur George Clooney ihm auf der Leinwand gerecht werden konnte; und wie Jackie Burke, die Drogengeld schmuggelnde Stewardess, die Quentin Tarantino zu seiner Blaxploitation-Hommage "Jackie Brown" inspirierte. Komplexe Charaktere, die sich jenseits von Gut und Böse ihre eigenen Wertesysteme schaffen. Für die es meistens ums Gewinnen geht und oft ums Überleben. Immer aber darum, bei allem, was sie tun, die bestmögliche Figur zu machen.

"King of Less"

Wie so viele seiner Helden war auch Elmore Leonard in erster Line Pragmatiker. Mit dem Schreiben von Western begann er, weil davon überzeugt war, dass ein Markt dafür existierte (und weil er Western einfach mochte). Als der Boom abebbte, verlegte er sich auf Thriller. Am Anfang seiner Karriere war Leonard noch vor allem von Hemingway beeinflusst, Mitte der Siebziger entdeckte er dann George V. Higgins, dessen Romane "The Friends Of Eddie Coyle" und "Cogan's Trade" (2012 mit Brad Pitt unter dem Titel "Killing Them Softly" verfilmt) vor allem durch ihre präzisen Dialoge und prägnanten Milieustudien bestechen. Genau die Stärken, die auch Leonards beste Bücher ausmachen.

Man könnte Elmore Leonard als Jil Sander der Literatur bezeichnen, ein "King of Less", der alles Überflüssige, Ornamentale ausmerzte, der die Essenz einer Geschichte und ihrer Figuren suchte - und fand. Oder, wie er in einem auch als Buch veröffentlichten Vortrag ("10 Rules Of Writing", Harper Collins) angehenden Schriftstellern riet: Lassen Sie alles weg, was die Leser sowieso überblättern würden. Damit meinte er vor allem langwierige Beschreibungen: von Personen, von Orten, vom Wetter. Auch für Adjektive, Adverbien und Ausrufezeichen hatte er nicht viel übrig.

Vielleicht war Leonard einer der am wenigsten eitlen Autoren, weil er sich selbst so sehr zurücknahm, weil es ihm nie darum ging, der Welt zu beweisen, was für ein großartiger Schriftsteller er war, weil er weder mit seinem Wortschatz noch mit seinem Wissen prahlen wollte: "When it sounds like writing I rewrite it." Sound ist eines der Worte, die Leonard häufig benutzte, um seine Art zu schreiben zu erklären. Es ist der sound, der seine Prosa so einzigartig macht, dieses Lässige, Swingende. Nie aufdringlich, stets zwingend. Und fast unmöglich zu übersetzen. Weshalb Leonards Bücher auf Deutsch auch nur halb so gut sind, selbst wenn sie nicht, wie oft noch in den Achtzigern und Neunzigern, schlampig ins Deutsche übertragen wurden.

Der Erfolg kam für Leonard nicht über Nacht. An seinem Western "Hombre" etwa verdiente er 1959 gerade mal 1250 Dollar. Bis ein paar Jahre später Hollywood kam und einen Film mit Paul Newman daraus machte. Jetzt konnte Leonard es sich leisten, seinen Job als Werbetexter aufzugeben und sich ganz dem Schreiben von Romanen widmen. Doch obwohl sich seine Bücher ziemlich bald ordentlich verkauften, fand er erst in den achtziger Jahren die Anerkennung der Kritiker. "Schriftsteller nach 23 Romanen entdeckt" überschrieb die "New York Times" 1983 eine Geschichte über Leonard. Später sollte dieselbe Zeitung ihn den "vielleicht besten Krimiautor aller Zeiten" nennen. Ein Zitat, das Verlage bis heute mit Vorliebe auf die Umschläge seiner Bücher drucken, das aber zu kurz greift. Denn Leonard war nicht nur einer der besten Krimiautoren, sondern einer der großartigsten Schriftsteller überhaupt, ohne jede Genre-Einschränkung.

Es gibt eine schöne Legende aus dem writer's room der TV-Serie "Justified", die auf einer von Leonards wenigen Novellen basiert. Angeblich tragen alle Drehbuchautoren bei der Arbeit Armbänder mit dem Kürzel "WWED" - "What would Elmore do". Ob die Geschichte wahr ist oder nicht: Jeder Schriftsteller sollte sich diese Frage stellen. Elmore Leonard kann keine Antworten mehr geben - man findet sie in seinen Romanen.

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